2.4 Aktuelle Probleme 23
2.4 Aktuelle Probleme
Arbeitgeberverbände, die sich in einem deutlichen Transformations- und Reorgani-
sationsprozess befinden, reagieren auf tatsächliche oder angenommene Veränderun-
gen ihrer verschiedenen Umwelten (u. a. veränderte Konkurrenzbedingungen auf
Produktmärkten, Eröffnung neuer Optionen durch Internationalisierung der Wirt-
schaft im Sinne von Europäisierung und Globalisierung). Sie versuchen aus organi-
sationstheoretischer Perspektive, ihre Ressourcen und damit ihren Bestand zu si-
chern, wobei sie durchaus über gewisse, über reine Anpassungsmaßnahmen hinaus
gehende Handlungsspielräume im Sine von strategic choices verfügen.
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Eine Form der Reaktion sind Veränderungen der Tarifpolitik im Sinne einer Dezen-
tralisierung und/oder Verbetrieblichung (einschl. der Einführung von Öffnungsklau-
seln), auf die wir später (vgl. Kap. 7ff.) ausführlich eingehen werden. Eine zweite
Form resultiert aus verbandsinternen Bedeutungsverschiebungen von der externen
oder Einfluss- zur internen oder Mitgliederlogik, d. h. zu einer stärkeren Dienst-
leistungs- und Serviceorientierung in quantitativer wie qualitativer Hinsicht, welche
durch Austritte bzw. die Drohung mit Austritt verstärkt werden (Haipeter/Schilling
2006a; 2006b). Die Ansprüche bzw. Leistungserwartungen der Mitglieder und damit
die Performanzabhängigkeit der Verbände steigen; die Allokation der Verbandsres-
sourcen muss dieser Verschiebung folgen.
Generell gilt: „Zur Bewältigung ihrer innerorganisatorischen Probleme diskutieren
die Arbeitgeberverbände vor allem zwei Möglichkeiten, die beide ihr bisheriges
Rollenverständnis und den Schwerpunkt ihrer Dienstleistungen verändern würden:
Zum einen wird intern vorsichtig darüber nachgedacht, eine (in Einzelfällen heute
schon bestehende) Mitgliedschaft ohne Tarifbindung generell zuzulassen, doch ist
äußerst umstritten, ob dieser Weg eher zu Rettung oder zum Untergang der Arbeit-
geberverbände führen würde. Zum anderen wird – mit wesentlich größerem Einver-
nehmen – eine stärkere Flexibilität und Differenzierung der Tarifpolitik angestrebt,
bei der Verbandstarifverträge beibehalten, aber mit größeren Gestaltungs- oder gar
Abweichungsmöglichkeiten für die einzelnen Betriebe versehen werden sollen“
(Schnabel 1995b, 69).
Ein sich verschärfendes, nur mit erheblichem Forschungsaufwand zu erhellendes
Problem stellen Austritte aus Verbänden dar (Langer 1994; Schroeder/Ruppert
1996; Schroeder 1997; Völkl 1998; 2002; Silvia/Schroeder 2007). Umfang und Be-
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Generell gilt: „To survive, organizations require resources. Typically, acquiring resources means
that organization must interact with others to control those resources. In that sense, organizations
depend on their environments. Because the organization does not control the resources it needs, re-
source acquisition may be problematic and uncertain“ (Pfeffer/Salancik 1982, 258).
24 2 Korporative Akteure I: Arbeitgeber- / Unternehmerverbände
deutung dieser exit-Strategien für etliche, allerdings nicht alle Arbeitgeberverbände
– nicht hingegen für die Unternehmensverbände – und damit für die Arbeits- und
insbesondere die Tarifbeziehungen steigen nach langen Phasen relativer organisato-
rischer Stabilität seit Mitte der 1980er Jahre. Dabei handelt es sich vor allem um
kleinere und mittelgroße Unternehmen, die nicht nur kurzfristig, sondern schon seit
längerem mit den Instrumenten und Ergebnissen der Tarifpolitik allgemein und vor
allem mit der Arbeitszeitpolitik (im Sinne einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit)
„ihres“ Verbandes im besonderen, unzufrieden waren und Schwierigkeiten bei deren
Umsetzung bzw. Implementation hatten. Weitere Motive sind schlechte Geschäfts-
lage, Kritik an den Dienstleistungen des eigenen Verbandes sowie die Höhe der
Mitgliedsbeiträge.
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Vor- und Nachteile ihrer Entscheidung wägen die Unternehmen
sorgfältig ab, was freilich Fehleinschätzungen nicht prinzipiell ausschließt.
Interessengegensätze vor allem zwischen großen und kleineren Unternehmen sind
von erheblicher Bedeutung für die Austrittsentscheidung:
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Die Tarifpolitik des Ver-
bandes wird als von den Großunternehmen dominiert wahrgenommen. Die stets
schwierige innerverbandliche Vereinheitlichung der bestehenden Interessendifferen-
zen gelingt nicht mehr in demselben Masse wie früher. Diese Entwicklung signali-
siert eine abnehmende Integrations- und Verpflichtungsfähigkeit der Verbände (im
Sinne von Weitbrecht 1969; 2008). Den Verlust der Option, von den Dienstleis-
tungsangeboten des Verbandes zu profitieren, schätzen die austretenden Unterneh-
men nicht sehr hoch ein, da alternative Bezugsquellen zur Verfügung stehen (u. a.
Wirtschaftsverbände, privater Erwerb von nicht-verbandlichen Anbietern). Aller-
dings kommt auch der umgekehrte Weg eines Wiedereintritts in den Verband vor,
wenn die erhofften Vorteile im Rahmen eines erneuten Kosten-/Nutzenkalküls sich
nicht realisieren lassen. Insofern sind Austritte keine Einbahnstraße.
Das zentrale Anschlussproblem aus Sicht der Arbeitsbeziehungen besteht in der
Regelung der Arbeitsbedingungen nach dem Austritt bzw. nach dem Ende der sog.
Nachwirkungsfrist, d. h. dem Auslaufen des geltenden Tarifvertrages. Eine Option
ist der Abschluss von Einzelarbeitsverträgen, deren erhebliche Transaktionskosten
durch sehr ähnliche bzw. identische Vertragsgestaltung reduziert werden können.
Eine weitere Option besteht im Abschluss von Haus- bzw. Firmentarifverträgen, die
aber das angestrebte und erhoffte höhere Maß an „Flexibilität“ außerhalb der Ver-
bandsmitgliedschaft und der dadurch begründeten Tarifbindung wiederum ein-
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Vgl. zur Bewertung der Verbandsleistungen durch die Mitglieder im Einzelnen Vieregge/HESSEN
METALL (1994); Vieregge (1993).
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„Large internationally active firms have shifted costs onto SMEs, taking advantage of their market
power. Increasing numbers of SMEs have reacted by fleeing employers associations to reduce their
own costs. The unions are not beneficiaries of these developments. To the contrary, they have
found their ability to improve compensation diminished“ (Silvia/Schroeder 2007, 1447f.).

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