26 2 Korporative Akteure I: Arbeitgeber- / Unternehmerverbände
allem kleine und mittlere Betriebe. Ein breites Spektrum an verbandlichen Dienst-
leistungen erhöht den OT-Anteil bzw. unterstützt seine Einführung. Sein Nutzungs-
grad hängt weiterhin wesentlich davon ab, wie nachdrücklich und offensiv der ein-
zelne Verband bzw. seine regionale Untergliederung die entsprechende Strategie
einer Mitgliederbindung über seine handelnden Repräsentanten betreibt (Haipeter/
Schilling 2006a; 2006b); jedenfalls handelt es sich nicht nur um ein rein reaktives
Instrument, sondern ggfls. auch um ein offensiv einsetzbares Druckmittel gegenüber
den Gewerkschaften (Koch 1999; Schroeder 2007). Die Verteilung auf die einzelnen
Branchen jenseits der industriellen Kernsektoren, vor allem der vergleichsweise
umfänglich untersuchten Metallindustrie (Haipeter/Schilling 2006a; 2006b), weist
ebenfalls erhebliche Unterschiede auf, wobei u. a. die Branchenstrukturen (kleine
und mittlere vs. große Unternehmen) von Bedeutung sind (Völkl 1998; 2002). Die
Entkoppelung von Tarif- und Dienstleistungsfunktionen ist vor allem in den neuen
Branchen des privaten Dienstleistungssektors, wie der Informations- und Kommuni-
kationstechnologie, weit fortgeschritten (Menez 2008).
Diese „Idee einer Flexibilisierung der Verbandsmitgliedschaft“ (Schroeder 2000,
252) in Richtung auf OT-Mitgliedschaften bzw. -Verbänden führt zu einer zuneh-
menden Heterogenität von Regelungsstrukturen bzw. -verfahren und trägt zu einer
neuen „Unübersichtlichkeit“ der Arbeitsbeziehungen bei. Einheitliche Strategien
sind weder zwischen noch innerhalb von Verbänden zu erkennen. Ungeklärt bleibt,
ob OT-Verbände die Lösung oder das Problem darstellen. Insgesamt fällt allmählich
das Vertretungsmonopol der Verbände, wodurch u. a. ihre frühere Funktion, makro-
ökonomische Koordinationsaufgaben im Sinne von private interest governments
(Streeck/Schmitter 1985b) wirksam wahrzunehmen, erschwert, wenn nicht unmög-
lich gemacht wird. Im Übrigen gehört die Bundesrepublik zur Minderheit der Län-
der mit einer relativ verbreiteten OT-Praxis (Traxler 2007). Dieser Sachverhalt ist
kaum bekannt und findet in der öffentlichen Diskussion keine Beachtung.
2.5 Erklärungsansätze
Arbeitgeberverbände müssen die heterogene (Arbeitsmarkt-)Interessen ihrer Mit-
glieder aggregieren und in verbandliche Politik transformieren; sie unterscheiden
sich in ihrer Kapazität der Problemverarbeitung. Zunächst sind Informationen über
die Organisationsgrade von Verbänden u. a. deshalb wichtig, weil sie Aussagen über
die Ausschöpfung des Mitgliederpotentials bzw. die Repräsentativität und damit
über die Einflussmöglichkeiten erlauben, und weil sie in unserm Fall über das Aus-
maß der Tarifbindung Auskunft geben. Der Organisationsgrad, die Relation zwi-
schen tatsächlichen und potentiellen Mitgliedern, lässt sich bei Arbeitgeberverbän-
den durch verschiedene Indikatoren bestimmen:
2.5 Erklärungsansätze 27
Zum einen kann der Quotient aus Anzahl der Mitgliedsunternehmen und Ge-
samtzahl der Unternehmen (z. B. einer Branche), d. h. der potentiellen Mitglie-
der, berechnet werden. Der deutliche Nachteil dieses Verfahrens besteht darin,
dass Klein- und Großbetriebe gleich gewichtet werden, obwohl ihre Einfluss-
möglichkeiten auf die Verbandspolitik erhebliche Unterschiede aufweisen.
Um dieses Problem zu vermeiden, wird als Indikator meistens der Quotient aus
Zahl der bei den Mitgliedsfirmen beschäftigten Arbeitnehmer und Gesamtzahl
der Beschäftigten im Organisationsbereich (z. B. der Branche) berechnet.
Eine selten gewählte Alternative besteht in der Bestimmung des Quotienten aus
Bilanz- oder Umsatzsumme der Mitgliedsfirmen zu der aller Firmen im Organi-
sationsbereich.
Abb. 2.5: Berechnung von Organisationsgraden
Zahl der Mitgliedsunternehmen
(I) ---------------------------------------------------------------------- x 100
Zahl der Unternehmen im gesamten Organisationsbereich
Beschäftigte in den Mitgliedsunternehmen
(II) --------------------------------------------------------- x 100
Beschäftigte im gesamten Organisationsbereich
Quelle: Müller-Jentsch 1997, 177.
Einigermaßen valide Informationen über die Höhe der Organisationsgrade liegen
– im Gegensatz zu denen der Gewerkschaften – nur für wenige Branchen vor, vor
allem für die Metallindustrie („Gesamtmetall“)
37
, wodurch generalisierende Aussa-
gen erschwert werden. Die Angaben in der aktuellen Literatur schwanken zwischen
60 und 80%, ohne dass disaggregierte, branchen- und unternehmensspezifische Da-
ten vorgelegt werden. Bei prinzipiell freiwilliger Mitgliedschaft liegen die Organisa-
tionsgrade relativ unabhängig von der Art der Operationalisierung deutlich über
denen der Gewerkschaften. Auch in der Mehrzahl vergleichbarer Industrie-, d. h. der
OECD-Länder, liegt der Organisationsgrad traditionell hoch und erheblich über dem
37
„Apparently the metalworking industry has a greater need for pure “employers’ associations”, that
is, associations specialized in labour relations. We find such in Italy, Switzerland, Canada and
Germany. Again this is not surprising, given the fact that the workers in this industry are in most
countries well-organized and strike readily, and that the industry has therefore become a leader in
the annual wage negotiation rounds“ (van Waarden 1995b, 91).

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