4 Korporative Akteure III:
Staat / Staatliche Agenturen
4.1 Einleitung
Auf der einen Seite stimmt die überwiegende Mehrzahl unserer Konzepte und Theo-
rien – unabhängig von ihrer Herkunft aus systemtheoretischen, pluralistischen, mar-
xistischen, Regulations- oder anderen „Schulen“ (Adams 1992, 503ff.; Müller-
Jentsch 2004b) – darin überein, dass wir bei unseren Versuchen, auf dem interdis-
ziplinären Gebiet der Arbeitsbeziehungen Hypothesen zu formulieren und zu über-
prüfen, explizit von drei korporativen Akteuren und ihren formalen und informellen
Beziehungen auszugehen haben:
Arbeitnehmer und Gewerkschaften als ihre Interessenvertretungen,
Management, Arbeitgeber und ihre Verbände,
Staat, wobei verschiedene seiner Agenturen, Bundes- und Länderregierungen
sowie die Arbeitsgerichte eingeschlossen werden.
Auf der anderen Seite konzentriert sich die überwiegende Mehrzahl der empirischen
und theoretischen Analysen deutlich auf die bilateralen Beziehungen zwischen Ar-
beitnehmern und Arbeitgebern unter Einschluss ihrer jeweiligen Organisationen. Der
Staat als der dritte korporative Akteur wird selten in die Kalküle einbezogen.
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Dieses Faktum scheint auf den ersten Blick insoweit keine ernsten Probleme aufzu-
werfen, als die Länder (wie etwa Großbritannien) betroffen sind, in denen der Staat
traditionell eine weniger wichtige, zumindest aber keine entscheidende Rolle in den
Arbeitsbeziehungen spielt, sondern lediglich einen weiten institutionellen Rahmen
für den dominierenden Bipartismus von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vorgibt.
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Zu den theoretischen Ausnahmen gehören Windmuller (1987); Dabscheck (1989); Giles (1989).
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Dies ist einer der Hauptgründe, weshalb der „KKM-approach“ (Kochan et al. 1986) in einem nicht
US-amerikanischen Kontext nur von begrenztem Nutzen ist. Vgl. zur Kritik zusammenfassend
IRRA (1988); Chelius/Dworkin (1990).
64 4 Korporative Akteure III: Staat / Staatliche Agenturen
Dieser offensichtliche Bias verursacht aber beträchtliche Schwierigkeiten, wenn wir
versuchen, diese analytischen Konzepte auf andere Länder zu übertragen, in denen
neben vergleichsweise zentralisierten collective bargaining-Systemen sowie institu-
tionalisierten Gewerkschaften wesentliche Einflussnahmen des Staates vorzufinden
sind (u. a. Österreich, die skandinavischen Staaten, Deutschland).
Ein paralleles, aber weitgehend unbemerktes Problem können wir in der in den ver-
gangenen beiden Jahrzehnten geführten Diskussion über die Zukunft der nordameri-
kanischen und europäischen Arbeitsbeziehungen feststellen: Viele der hochgradig
kontroversen Konzepte kreisen um Aspekte der Zukunft der Gewerkschaften (wie
Mitgliederverluste, abnehmende Organisationsgrade, neue Strategien und notwendi-
ge Politiken angesichts der Einführung neuer Technologien auf Betriebsebene, mehr
Wettbewerb auf den sich verändernden Weltmärkten, verschiedene Strategien gegen
Arbeitslosigkeit) (vgl. Kap. 3). Gelegentlich schließen diese Konzepte einige allge-
mein gehaltene Informationen und/oder begründete Spekulationen über die Zukunft
von Management und Arbeitgebern ein. Der Staat als korporativer Akteur und se-
kundäre Machtressource (Traxler et al. 2001) wird wiederum nicht thematisiert.
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Dieser offensichtliche Mangel
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verursacht ernsthafte Schwierigkeiten nicht nur für
die erwähnte Theoriebildung, sondern auch für Forschungsaktivitäten. Im Folgenden
wollen wir einen Beitrag zur Beseitigung dieser konzeptionellen Lücke leisten. Da-
bei werden wir zunächst auf einige historische Entwicklungen, danach vor allem auf
aktuelle Probleme eingehen.
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Allgemein gilt: „Governments play important roles in
industrial relations (though more so in some countries than in others). They set the
ground rules for collective bargaining; they may function as key bargainers in corpo-
ratist countries; they may determine conditions of employment directly; they may
have important influences on macro forces, through fiscal policy, protectionism, or
training, for example; and they are important employers and so provide examples for
the rest of the economy“ (Strauss 1998, 176).
In diesem Kontext brauchen wir in stärkerem Maße eine politikwissenschaftlich
orientierte Perspektive auf dem interdisziplinären Forschungs- und Lehrgebiet der
Arbeitspolitik, welches stark von Juristen und Ökonomen beeinflusst wird. Wir
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„... students of shop-floor industrial relations typically see little reason to consider the state as a
relevant object of enquiry“ (Hyman 1989, 202).
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Bemerkenswerte Ausnahmen sind allgemein gehaltene Kapitel über den Staat in international
vergleichender Perspektive bei Bean (1994) und Poole (2003) sowie Traxler et al. (2001).
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Vgl. zur historischen Entwicklung der collective bargaining-Regelungen in verschiedenen Ländern
Bean (1994); zur Entwicklung in Deutschland Armingeon (1988); international vergleichend Ar-
mingeon (1992); (1993a); (1993b); van Waarden (1995c).

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